Unzulässigkeit von Bürgerbefragungen

Braunschweig. Zu der Diskussion um die Zulässigkeit von Bürgerbefragungen in Braunschweig nimmt der Vorsitzende der SPD-Fraktion im Rat der Stadt Braunschweig, Manfred Pesditschek, wie folgt Stellung: Die Satzung für Bürgerbefragungen, vom Rat am 25.02.2003 beschlossen, sagt unter § 2 Gegenstand der Befragung: "Unzulässig ist eine Bürgerbefragung über ... Angelegenheiten, die im Rahmen eines Planfeststellungsverfahrens ... zu entscheiden sind."

Satzung für Bürgerbefragungen nach § 22 d NGO
beschlossen vom Rat der Stadt Braunschweig am 25.02.2003

§ 2 – Gegenstand der Befragung –

Unzulässig ist eine Bürgerbefragung über

5. Angelegenheiten, die im Rahmen eines Planfeststellungsverfahrens oder eines förmlichen Verwaltungsverfahrens mit Öffentlichkeitsbeteiligung oder eines abfallrechtlichen, immissionsschutzrechtlichen, wasserrechtlichen oder vergleichbaren Zulassungsverfahrens zu entscheiden sind.

Diese Formulierung ist eindeutig: Wenn für eine Angelegenheit ein Planfeststellungsverfahren erforderlich ist, ist eine Bürgerbefragung dazu unzulässig – egal ob vorher, hinter oder wann auch immer. Die inhaltliche Begründung für diese Regelung hat Oberbürgermeister Dr. Gert Hoffmann seinerzeit in der Begründung der Verwaltungsvorlage deutlich gemacht – siehe Drucksache vom 21.02.2003:

Da für diesen konkreten Fall (ECE) und zugleich für alle Planungsverfahren eine Bürgerumfrage – analog zu den Regelungen über Bürgerentscheide – nicht als richtig angesehen wird, füge ich ergänzend zu den bisherigen Ausführungen noch Folgendes an:

Umfragen werden in der Regel durch eine Ja/Nein-Antwort entschieden. Planerische Entscheidungen sind jedoch wegen der komplexen Abwägung, die gesetzlich vorgeschrieben ist, nicht mit „ja“ oder „nein“ zu beantworten. Sie bedürfen vielmehr einer Gewichtung einzelner Gesichtspunkte und Einwendungen und dann eines ausdifferenzierten Entscheidungsbeschlusses.

Wenn eine vorausgegangene Ja/Nein-Entscheidung der Bürgerschaft den Rat bei allen Planverfahren so bindet, dass er ohne konkret sich selbst in den Abwägungsprozess zu begeben, daran festhält und dem Planvorschlag entweder zustimmt oder ihn ablehnt, begeht er einen schweren Abwägungsfehler und macht diese planerische Entscheidung rechtsunwirksam…

Da also der Rat bei einer solchen Bürgerumfrage stets gebunden ist, wird er in planerischen Entscheidungen keine objektiv gebotene Abwägungsentscheidung mehr treffen können. Dass dies zur Rechtsfehlerhaftigkeit führen muss, wird auch noch deutlich, wenn man einmal von der Konstellation ausgeht, dass das Umfrageergebnis für die entsprechende Planentscheidung positiv ausfallen würde…

In diesem Fall würde der Rat sich auf Grund der vorangegangenen Bürgerumfrage – an deren positives Votum er sich gebunden fühlte – über alle vorliegenden Einwendungen hinwegsetzen müssen.“

Das hat Dr. Hoffmann persönlich formuliert – allerdings zu einer Zeit, als es um eine mögliche Befragung zum ECE-Center ging, die er nicht haben wollte. Das gilt zwar auch heute noch, ist aber Herrn Dr. Hoffmann offensichtlich entfallen. Bezogen auf eine mögliche Trassenverlängerung nach Volkmarode würde das nämlich bedeuten: Wenn die Bürgerbefragung zugunsten der Trassenverlängerung ausfällt – was ich bei einer objektiven Fragestellung nicht bezweifle – würde der Rat bei dem in diesem Fall doch erforderlichen Planfeststellungsverfahren nach dem oben Gesagten einen schweren Entscheidungsfehler begehen und das Verfahren rechtsunwirksam machen, weil er über die Einwände der Gegner hinweggehen müsste. Das gilt natürlich besonders, wenn sich der Rat vorher verpflichtet hat, das Ergebnis der Bürgerbefragung zu übernehmen. Vielleicht ist das ja auch der Sinn des Ganzen?

Durch die nachgeschobene weitere Mitteilung des Oberbürgermeisters wird die Sache nicht besser. Offensichtlich ist ihm aufgefallen, dass seine Erklärungsversuche an der Sache vorbeigehen, und jetzt werden durchsichtige Ablenkungsmanöver gefahren. In Wirklichkeit hat Herr Dr. Hoffmann wieder nur einmal bewiesen, dass jeder fähige Jurist in der Lage ist, eine Sache, aber auch deren genaues Gegenteil zu argumentieren.

Eine Satzung soll Rechtssicherheit schaffen. Offensichtlich hängt die Stellungnahme der Verwaltungsspitze zu einer Bürgerbefragung nicht von der Satzungslage ab, sondern davon, ob der Wunsch danach von der CDU kommt – dann ist sie zulässig – oder einer der anderen Fraktion – dann ist sie unzulässig. Wenn das so ist, ist die „Satzung zur Durchführung einer Bürgerbefragung“ überflüssig. Der Rat sollte sie aufheben. Dann bleibt dem Oberbürgermeister immer noch die Möglichkeit der Beanstandung von Ratsbeschlüssen zu Bürgerbefragungen, und dagegen kann geklagt werden.
 

Manfred Pesditschek